Erziehungsurlaub: Nur wenige Männer tun es - Siemens-Ingenieur
Thomas Poppe dreht in der "Auszeit" auf
VDI nachrichten, 1.12.2000
Das ist doch Kinderkram: Erziehungsurlaub ist in den Köpfen weiter
Teile der männlichen
Bevölkerung immer noch eher für Frauen eingerichtet. Ausnahmen
bestätigen die Regel. Ein
Ingenieur aus München gehört dazu. Thomas Poppe bleibt erstmal
bei Sohn Paul.
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"Steppke" Paul bestimmt, wann Thomas Poppe arbeitet. Foto: Bohnenstengel
Seit einigen Monaten merkt Thomas Poppe, was Frauen meinen, wenn
sie von "Doppelbelastung"
sprechen. Der Elektro-Ingenieur ist im Erziehungsurlaub. Nebenbei arbeitet
er weiterhin 19 Stunden
für die Zentralabteilung Technik bei Siemens - per Telearbeit
von zu Hause aus. Dass das Wort
Urlaub im Zusammenhang mit einer Kinderpause eine Farce ist, weiß
er nur zu gut.
Auch das Bundesfamilienministerium hat das erkannt: Der Erziehungsurlaub
wurde kurzerhand in
"Elternzeit" umgetauft und mit einem neuen Gesetz verbunden. Ab Januar
2001 können erstmals Väter
und Mütter gleichzeitig drei Jahre Erziehungsurlaub nehmen. "Beruf
und Familie, beides ist
Lebensziel", sagt Bundesbildungsministerin Christiane Bergmann. "Ich
denke, die jungen Väter
haben erkannt, dass ihnen etwas entgeht, wenn sie nur Abend- und Wochenendpapas
sind."
Zwar hat sich die Einstellung vieler verändert. Das ergab jedenfalls
eine von den Soziologen der
Ruhr-Universität Bochum im Auftrag der Evangelischen Kirche Deutschland
und der Gemeinschaft
Katholischer Männer in Auftrag gegebene Studie für das Jahr
1999. Die Zahl der Väter, die der Einsicht
auch Taten folgen lassen, ist immer noch sehr gering. Der Männeranteil
beim Erziehungsurlaub liegt
bei 1,5 %. Davon, dass es nach wie vor so wenige Vorreiter auf diesem
Feld gibt, hat sich Thomas
Poppe nicht abschrecken lassen. "Für meine Frau und mich stand
es nie zur Debatte, dass wir beide
Erziehungsurlaub nehmen werden", sagt der 36-Jährige. Pünktlich
zur Jahrtausendwende - Sohn Paul
ist tatsächlich am 1. 1. 2000 kurz nach Mitternacht geboren -
wurde es dann "ernst": Acht Monate lang
blieb seine Frau zu Hause, dann war er dran.
Was für ihn selbstverständlich war, erforderte beim Chef einiges
an Überzeugungsarbeit. Obwohl es
bei Siemens schon lange ein erklärtes Ziel ist, die Vereinbarkeit
von Familie und Beruf in jeder
Hinsicht zu fördern, ist hier - wie in den meisten Unternehmen
- immer noch an einigen Stellen ein
Umdenken nötig. Das erklärt auch die Unsicherheit vieler
Männer vor diesem Schritt. So hat die Uni
Bamberg herausgefunden, dass neben finanziellen Gründen die Angst
vor einem Karriereknick die
meisten von der Familien-Auszeit abhält.
"Ich habe meine Entscheidung ganz bewusst getroffen", sagt Thomas Poppe.
Obwohl er das Angebot
einer Projektleitung wegen des Erziehungsurlaubs ausschlagen musste,
ist er sich sicher, den
richtigen Weg eingeschlagen zu haben - selbst, wenn das bedeutet, weniger
flexibel in punkto
Karriere zu sein. "Ich habe mich früh genug gefragt, ob ich beruflich
das gleiche Tempo wie früher an
den Tag legen möchte oder ob mir mein Sohn ebenso wichtig ist."
Job oder Familie, das war für ihn keine Frage. Wie viele Frauen
schon seit Jahren, versucht er zurzeit,
beides zu verbinden. Dank des Telearbeitsplatzes in seinem häuslichen
Arbeitszimmer ist das kein
Problem - es erfordert allenfalls eine Menge Organisationstalent. Glücklicherweise
schläft der kleine
Paul morgens und nachmittags insgesamt drei Stunden, die dann für
die Arbeit reserviert sind.
Haushalt und Kochen werden erledigt, wenn sein Sohn wach ist. "Eigentlich
habe ich ein Abkommen
mit meiner Frau, dass sie nicht später als 19 Uhr von der Arbeit
kommt", schmunzelt der Ingenieur.
Was leider nicht immer klappt, so dass er dann und wann die berühmte
Nachtschicht oder einen
Arbeits-Samstag einschieben muss.
"Es ist mir aber wichtig, nicht den Kontakt zum Berufsleben zu verlieren",
sagt Thomas Poppe. Per
E-Mail und Telefon hat er den ständigen Draht zu seinen Kollegen.
Die haben ohnehin positiv reagiert,
manch ein Vater auch ein wenig bewundernd. Doch obwohl er zum Beispiel
kürzlich sogar einen
Werksstudenten von zu Hause betreut hat, vermisst er manchmal die intensive
Arbeit ein bisschen.
Der tägliche Plausch, der fehlt besonders.
Dafür bekommt er nun die täglichen Veränderungen von
Paul hautnah mit. In den ersten acht Monaten
nach der Geburt hat er seinen Sohn nicht so intensiv erlebt wie heute.
Und wie soll's nach dem
Erziehungsurlaub weiter gehen? Nach acht Monaten wird Thomas Poppe
wieder in die Forschung bei
Siemens zurückgehen und sich ganz der Neuroinformatik widmen.
"Die Frage nach einer Auszeit wird
wahrscheinlich wieder zur Einschulung aktuell", sagt er. Was das angeht,
sorgt das neue
Elternzeit-Gesetz für Flexibilität. Vorher fände er
es optimal, wenn ein paar Stunden Telearbeit
weiterhin möglich wären. Doch darüber wird noch verhandelt.
A. BEHNKE
Neuregelung 2001 "Elternzeit" Alles neu macht
bekanntlich nicht der Mai, sondern zumeist der Januar.
Am 1. 1. 2001 tritt die Reform des Erziehungsurlaubs
in Kraft. Im Klartext heißt das: Dann können
Vater und Mutter bei unveränderter Dauer
von drei Jahren gleichzeitig Erziehungsurlaub nehmen und
während der Zeit bis zu 30 Stunden arbeiten
(in Betrieben mit mehr als 15 Beschäftigten). Ein Jahr
des Erziehungsurlaubs kann nun nach Absprache
auch zwischen dem dritten und achten Lebensjahr
genommen werden. Weiterhin wurden die Einkommensgrenzen
für Erziehungsgeld um 10 %
angehoben sowie der Betrag, wenn man nur ein
Jahr aussetzt, erhöht. Dennoch schreckt die
Einkommenseinbuße viele Männer
davon ab, eine Kinderpause einzulegen. In Skandinavien
beispielsweise gibt es 70 % bis 80 % des Nettoeinkommens,
und dort gehen zehn Mal so viele
Männer in den Erziehungsurlaub wie in
Deutschland. Eine Studie der Uni Bamberg mit dem Titel
"Väter und Erziehungsurlaub" bestätigt
dies. Fazit der Erhebung: Männer gehen nicht in den
Erziehungsurlaub, weil sie sich vor den finanziellen
Verlusten fürchten.
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